Sinusstein
Nideggen
Die Töne eines Waldes, eines Baches oder Flusses verändern sich von Moment zu Moment. Steine dagegen schweigen immergleich. Und doch ist es ein beredtes Schweigen. Wer sich Zeit nimmt mit den scheinbar sprachlosen Wesen in Verbindung zu treten, dem offenbaren sie viel über die geologische und kulturelle Entwicklung einer Region. So wie der Sinusstein im Nideggener Badewald.
Das vielsagende Schweigen des Sinussteins
Der sagenumwobene uralte Kultstein liegt nur wenige Meter abseits des schmalen Wanderpfads durch den Nideggener Badewald. Die Lage an einem südlichen, mit Kiefern und Birken bewaldeten Hang, verbirgt auf den ersten Blick die wahren Ausmaße des tonnenschweren Felsens. Bis zur behutsamen Reinigung 2022 überzog eine Decke aus Flechten und Moosen die fast zwei Quadratmeter große Felsformation aus Sandstein. Freigelegt zeigt sich eine von Menschenhand bearbeitet Oberfläche, strukturiert durch Mulden, Linien und Zeichen. Darunter gut erkennbar eine an ein Sinuszeichen erinnernde Form, die dem Felsen seinen Namen gibt. Doch wer hat vor Tausenden von Jahren im Badewald den Meißel geführt und welchem Zweck diente die Arbeit?
Ein archaisches Kalendersystem
Die Wissenschaft gönnt dem Sinusstein von Nideggen weiter seine rätselhafte Aura. Studien und gesicherte Erkenntnisse liegen bisher nicht vor. Doch der Vergleich mit weiteren Kultsteinen in Deutschland legt einige Mutmaßungen nahe. Vermutlich diente der Sinusstein als Kalendarium. Schon in der mittleren Steinzeit begannen die Menschen ihre Beobachtung des Sonnenjahres durch Felsgravuren festzuhalten. Sie halfen, Aussaat- und Erntetermine, aber auch Feiertage zu bestimmen. Vor allem Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen wurden auf Steinen festgehalten. So zeigt auch der Querstrich auf dem Sinusstein zu Sommeranfang exakt den höchsten Sonnenstand. Typisch für die meisten Kalendersteine ist neben dem astronomischen Zweck ihre gleichzeitige Bedeutung als Kultsteine. Auch die Mulden des Sinussteins scheinen geformt, um Opfergaben aufzunehmen. Ob sie natürlichen Ursprungs sind oder von Menschenhand geschaffen, bleibt offen. So salbte man in vorchristlicher Zeit Krieger und Kranke, in dem man heiliges Öl auf mythische Steine tropfte und solange mit dem Daumen auf der Stelle verrieb, bis sich eine Salbe bildete. Ob nun kleine „Ölwanne“, Opferschale oder beides zugleich – die Mulden und kleinen Näpfe blieben jedenfalls trocken, denn eingearbeitete Vertiefungen führen das Regenwasser gezielt vorbei.
Die Schwingung aufnehmen
Sie sind mit einem Kompass unterwegs? Dann sollten Sie ihn am Sinusstein einmal auspacken. Nicht selten bringt dieser Ort die Kompassnadel zum Zittern. Ein Zeichen für die besonderen energetischen Schwingungen des Felsens und der ihn umgebenden Natur. Nehmen Sie sich ein wenig Zeit, sich mit diesem steinernen Energieträger zu verbinden. Probieren Sie mit Muße, ob dieser Platz für Sie ein aufladender Kraftort ist. Wenn ja, wird der weitere Weg – vielleicht zum nahegelegenen Aussichtspunkt Hondjesley oder hinab nach Abenden – sicher ein leichter sein.
Der Schatz der Nibelungen – versteckt im Badewald?
Aduatuka – so lautet der klangvolle Name der einstigen Hauptstadt der Eburonen. Sie lag Funden und Beschreibungen zufolge ziemlich genau auf Nideggener Gebiet. Dort lebten zuvor die Kimbern und Teutonen, wobei die Männer meist auf Wanderschaft waren. Auf diesen ließen sie wohl einiges an Kostbarkeiten „mitgehen“. Schließlich sesshaft geworden vermischten sie sich mit den Kelten, woraus der Volksstamm der Eburonen hervorging. Tapfer, aber letztendlich ohne Erfolg, setzten diese sich 54 v. Chr. gegen die einfallenden römischen Legionen zur Wehr. Ihren Schatz aber hatten sie der Sage nach zuvor im Badewald vergraben. Er bot mit seinen zahlreichen Erzgruben und Stollen beste Versteckmöglichkeiten. Der Plan ging auf. Der Schatz fiel den römischen Besatzern nicht in die Hände. Erst der Zwerg Alberich soll ihn beim Erzabbau entdeckt haben. Doch was die Nibelungen mit ihm machten, ob sie ihn mit ins Rheinland nahmen oder im Badewald liegen ließen, das bleibt vermutlich auf immer ihr Geheimnis. Im Badewald treffen Sie allerdings bis heute auf Menschen, die aufmerksam in jede Felsspalte schauen …